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Was auf den ersten Blick wie ein freundlicher Hinweis wirkt, ist in Wahrheit oft ein gezielter Nudge – ein kleiner Schubs in eine bestimmte Richtung. Subtil, sanft und scheinbar freiwillig. Doch hinter diesen kleinen Impulsen steckt eine grosse psychologische Wirkung.
Was ist Nudging?
Der Begriff Nudging stammt aus der Verhaltensökonomie und wurde durch Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein populär gemacht. In ihrem Buch „Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness“ (2008) beschreiben sie, wie Menschen durch gezielte Gestaltung von Entscheidungssituationen zu bestimmten Handlungen angeregt werden können – ohne Zwang, aber mit Wirkung.
Ein klassisches Beispiel aus der Offline-Welt: Wird in einer Kantine das gesunde Essen an den Anfang des Buffets gestellt, greifen mehr Menschen danach – ein typischer Nudge. Die Wahlfreiheit bleibt, aber der Rahmen verändert die Entscheidung.
Im digitalen Raum ist dieses Konzept noch mächtiger – denn hier lassen sich Nutzer gezielt, kontinuierlich und oft unsichtbar beeinflussen.
Wie funktioniert Nudging online?
Default-Optionen: Die Macht der Voreinstellung
Was voreingestellt ist, bleibt oft so. Viele Menschen ändern standardmässig gesetzte Einstellungen nicht – nicht aus Überzeugung, sondern aus Bequemlichkeit oder fehlender Aufmerksamkeit.
Ein typisches Beispiel: Beim Registrieren einer App ist der Haken für Push-Benachrichtigungen bereits gesetzt. Wer sich nicht aktiv dagegen entscheidet, erlaubt automatisch, ständig erinnert, benachrichtigt oder „zurückgeholt“ zu werden. Das ist kein Zufall, sondern ein gezielter Nudge: Die Plattform sorgt dafür, dass sie präsent bleibt – im Alltag, auf dem Homescreen, in der Aufmerksamkeit des Nutzers.
Das Prinzip funktioniert auch bei Newsletter-Anmeldungen, Cookie-Auswahlen oder Datenschutzeinstellungen. Default-Optionen beeinflussen Entscheidungen, noch bevor wir überhaupt bewusst wählen.
Social Proof (soziale Bewährtheit): „87 % der Nutzer haben sich für Option A entschieden“ – wir sind soziale Wesen und neigen dazu, der Mehrheit zu folgen. Plattformen nutzen das gezielt, um Verhalten zu lenken.
Hervorhebung & Design: Die „empfohlene“ Option ist oft farblich hervorgehoben oder grösser dargestellt. Unser Blick bleibt daran hängen – und unser Klick folgt häufig.
Knappheit & Dringlichkeit: „Nur noch heute gültig“, „Nur noch 2 Plätze frei“ – der Eindruck von Verknappung erzeugt psychologischen Druck. FOMO (Fear of Missing Out) ist ein starker Nudge.
Progress Indicators: Fortschrittsbalken („80 % abgeschlossen“) motivieren uns, eine Handlung zu Ende zu führen. Die psychologische Motivation dahinter: Abschliessen wollen, was begonnen wurde (siehe Zeigarnik-Effekt).
Beispiel: Bei LinkedIn wirst du beim Erstellen deines Profils mit einem Fortschrittsbalken begleitet. Sobald du ein paar Angaben gemacht hast, erscheint: „80 % deines Profils sind vollständig“. Und darunter: „Füge noch ein Profilbild hinzu, um dein Profil zu vervollständigen“.
Der subtile Druck, die letzten 20 % auch noch zu erledigen, führt dazu, dass viele Nutzer weitermachen – obwohl sie eigentlich vielleicht nur etwas testen wollten.
Auch bei Onboarding-Prozessen in Apps, bei Bewerbungsformularen oder beim Online-Shopping (Checkout-Fortschritt) werden solche Anzeigen gezielt eingesetzt, um Abbrüche zu minimieren und Completion Rates zu steigern.
Warum wirken Nudges so stark?
Der Mensch denkt nicht immer rational – oft entscheiden wir intuitiv, emotional und situativ. Nudges nutzen diese kognitiven Abkürzungen (Heuristiken), um Verhalten in gewünschte Bahnen zu lenken – ohne Verbote oder Bestrafung.
Das funktioniert besonders gut, weil:
Entscheidungsmüdigkeit uns empfänglich für einfache Lösungen macht
Bequemlichkeit häufig über Analyse siegt
Vertrauen in Design unbewusst beeinflusst („Wenn es so dargestellt ist, wird es wohl stimmen…“)
Im digitalen Alltag, wo wir täglich hunderte Entscheidungen treffen, übernehmen Nudges oft unbemerkt das Steuer.
Wo begegnen wir digitalem Nudging konkret?
Nudging begegnet uns überall im digitalen Alltag – oft, ohne dass wir es merken. Plattformen, Apps und Webseiten setzen gezielte Mikroimpulse ein, um unser Verhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken. Hier einige typische Bereiche …
E-Commerce
Online-Shops setzen gezielt auf psychologische Trigger wie Social Proof („Dieses Produkt wurde heute 37-mal gekauft“), Verknappung („Nur noch 2 Stück auf Lager“) oder Default-Optionen („Expressversand bereits vorausgewählt“), um Entscheidungen subtil zu lenken. Auch die Produktplatzierung auf der Startseite oder in empfohlenen Kategorien ist ein strategisch gesetzter Nudge – sie steuert unsere Aufmerksamkeit dorthin, wo der Anbieter sie haben möchte.
Ein besonders eindrückliches Beispiel findet sich bei Hotelbuchungsplattformen:
Beim Buchen eines Hotels erscheinen Hinweise wie „Nur noch 1 Zimmer zu diesem Preis verfügbar“ oder „15 Personen schauen sich dieses Hotel gerade an“. Zusätzlich ist oft bereits eine bestimmte Zimmerkategorie vorausgewählt. Diese Kombination aus Verknappung, sozialer Bestätigung und Voreinstellung erzeugt einen psychologischen Druck – man möchte keine Gelegenheit verpassen und bucht schneller, als man es vielleicht ohne diese Hinweise tun würde.
Social Media
Plattformen wie TikTok oder Instagram nutzen Autoplay, visuelle Hervorhebungen und personalisierte Empfehlungen, um uns im Flow zu halten. Wenn TikTok dir nach einem Video direkt ein weiteres zeigt – exakt auf dich zugeschnitten – dann ist das ein perfekt platzierter Nudge. Auch das Herzsymbol direkt unter einem Post oder Story-Elemente mit Countdown erzeugen gezielte Interaktionsreize.
Produktivität & Lern-Apps
Apps wie Duolingo oder Notion motivieren mit Fortschrittsanzeigen, Badges und täglichen Streaks. „Du bist nur noch eine Lektion vom nächsten Level entfernt“ – das ist kein Zufall, sondern gezieltes Verhaltensdesign, das auf Motivation und Konsistenz setzt.
Ein paar weitere, alltagsnahe und moderne Beispiele für Nudging im Online-Environement …
„Autoplay in 3…2…1“ (Netflix, YouTube, TikTok)
→ Ohne aktives Zutun läuft die nächste Folge oder das nächste Video automatisch – du musst nichts tun, um weiterzuschauen. Perfekter Default-Nudge.
„Jetzt abonnieren – fast 1 Million Nutzer folgen bereits“ (TikTok Creator-Profile)
→ Social Proof: Die hohe Follower-Zahl soll Vertrauen wecken und Nachahmung fördern.
„Top Picks für dich“ (Netflix, Spotify, TikTok)
→ Personalisierte Empfehlungen basierend auf deinem Verhalten – oft hervorgehoben, visuell betont. Du denkst, du hast die Wahl, aber die Entscheidung ist gelenkt.
Fazit: Kleine Impulse, grosse Wirkung:
Nudging zeigt, wie mächtig die Gestaltung von Entscheidungen sein kann – besonders im digitalen Raum, wo Nutzer täglich mit einer Flut an Optionen konfrontiert sind. Es braucht keinen Zwang, keine Manipulation im klassischen Sinn. Oft reicht ein sanfter Schubs, ein farblich hervorgehobener Button oder eine gut platzierte Zahl, um unser Verhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Das Spannende: Wir fühlen uns frei in unseren Entscheidungen – und sind uns dabei oft nicht bewusst, wie sehr die Umgebung uns beeinflusst. Wer digitale Produkte entwickelt oder Content gestaltet, sollte sich dieser Mechanismen bewusst sein. Denn mit klugem Nudging lassen sich nicht nur Klicks und Conversions steigern, sondern auch positive Nutzererfahrungen schaffen – vorausgesetzt, es geschieht transparent, respektvoll und im Sinne der Nutzer.
Der digitale Raum ist kein neutraler Ort. Und gerade deshalb ist es so wichtig, zu verstehen, wie Entscheidungen entstehen – und wer sie mitgestaltet.
Autor: Benjamin Duthaler
Thaler, R. H., & Sunstein, C. R. (2008). Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness.
Thaler, R. H. (2015). Misbehaving: The Making of Behavioral Economics.
Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow.
Weinmann, M., Schneider, C., & vom Brocke, J. (2016). Digital Nudging: Guiding Online User Choices through Interface Design.